Etienne Kinsinger - Auf dem Weg nach Paris 2024

Sportstiftung Saar, SaarSport-Magazin, LSVS

„Es ist jetzt nicht so, dass ich die Tage zähle und nach dem Aufwachen sage: ‚Boah, jetzt nur noch 833 Mal schlafen‘“, sagt Etienne Kinsinger, angesprochen auf die Olympischen Spiele 2024 in Paris. „Allerdings ist das Ziel, sich dafür qualifizieren zu wollen, immer im Hinterkopf“, gibt er zu.

Der Trainingsplan des 25-jährigen Bundesliga-Ringers des KSV Köllerbach orientiert sich zwar grundsätzlich immer an den Olympiazyklen. So war es auch vor seinen ersten Olympischen Spielen in Tokio 2021, wo er den 11. Platz belegte. Allerdings fanden diese aufgrund der Corona-Pandemie ein Jahr später statt als ursprünglich geplant, was den aktuellen Zyklus verkürzte. Jedenfalls stehen vorerst die aktuellen Zwischenziele im Vordergrund. Zu denen gehörte ein gutes Abschneiden bei der Europameisterschaft 2022, die Ende März in Budapest stattfand. Dort unterlag Kinsinger im Halbfinale der Klasse bis 63 Kilo dem an Nummer eins gesetzten Georgier Leri Abduladze mit 2:6. Im Kampf um Platz drei unterlag er dem Ukrainer Oleksandr Hrushyn, Bronzegewinner der U23-WM von 2018, mit 2:5. Das nächste wichtige internationale Turnier ist die Weltmeisterschaft, die Mitte September in Belgrad stattfinden wird.

Mit starken Leistungen will Etienne Kinsinger Bundestrainer Michael Carl zeigen, „dass man mit mir rechnen muss und dass ich einer bin, den man ab 2023 auf die Qualifikationsturniere schicken kann. Wer in einem Jahr trödelt, wird im nächsten eine schlechtere Ausgangsposition haben. So einfach ist das“, bringt es Kinsinger auf den Punkt. Verschärft wird dies durch die wegen der Corona-Pandemie verkürzten Vorbereitungszeit von nur drei statt vier Jahren. „Normalerweise ist das erste Jahr nach Olympischen Spielen eine Art Übergangsjahr, bevor es wieder in die Vollen geht. Aber das ist dieses Mal weggefallen“, erklärt der Sportsoldat und stellt klar: „Das heißt: Schon in diesem Jahr gilt es, alles zu geben und nichts zu verschlafen.“ Ob der verkürzte Zyklus ein Vor- oder doch eher ein Nachteil ist, vermag der 25-Jährige nicht abzuschätzen. Einerseits sind die Erinnerungen an seine erste Olympiateilnahme noch präsenter, andererseits bleibt eben weniger Zeit, sich auf die nächste vorzubereiten. „Ich nehme es so, wie es ist. Was anderes bleibt mir eh nicht übrig. Das war ja schon bei der Verlegung der Spiele in Tokio so“, sagt er und betont: „Gerade beim Ringen hängt vieles von der Tagesform ab. Und ob man davor drei oder vier Jahre geackert hat, ist in dem Moment völlig egal. Jedenfalls ist es für mich kein großes Problem, einfach weiter Gas zu geben.“

Pragmatismus und Zielstrebigkeit sind nur zwei Eigenschaften, die den Musterschüler des Saarsports auszeichnen. Die Erfolge sprechen für sich: Schon im Nachwuchsbereich hatte Etienne Kinsinger so einiges erreicht. 2013 wurde er Kadetten-Weltmeister, 2016 Vize-Weltmeister der Junioren. 2014 wurde er zum ersten Mal Deutscher Meister bei den Herren. Dass er ausgerechnet zum Ringen kam, lag daran, dass seine Eltern sich oft die Köllerbacher Bundesliga-Ringer angeschaut hatten. Irgendwann landete Etienne dann im „Ringer-Kindergarten“ des KSV Köllerbach. Damals war er drei Jahre alt. Im Gegensatz zu manchen, die ihre Randsportart irgendwann in Richtung Fußball, Handball oder anderen verlassen, blieb das Talent dem Ringen treu. „Das hat mir von Anfang an Spaß gemacht und ich hatte nie den Gedanken, die Sportart zu wechseln“, sagt er rückblickend. Den Verein allerdings schon. Nach einem zweijährigen Gastspiel beim KV Riegelsberg kehrte er 2014 nach Köllerbach zurück.

„Die Motivation, in Paris mit dabei zu sein, ist natürlich riesengroß. Erstens wegen der Nähe zu meiner Heimat und zweitens habe ich ja schon spüren dürfen, was es bedeutet, bei Olympischen Spielen an den Start zu gehen. Das ist was ganz Besonderes“, berichtet Kinsinger und ergänzt: „Und das war noch unter Quarantäne-Bedingungen. Ich weiß also, dass ich noch gar nicht alles erlebt habe, was Olympia so zu bieten hat.“ Sowohl an den einzigartigen Corona-Spielen als auch an den ersten Spielen, die wieder unter normalen Umständen stattfinden, teilgenommen zu haben, wäre für ihn „natürlich ein Traum“. Um ihn sich zu erfüllen, hat sich der erfahrene Vorzeige-Athlet einiges vorgenommen: „Ich befinde mich derzeit im besten Ringer-Alter und da gilt es vor allem, stets eine gute Grundlage im Bereich der Kondition aufzubauen und die Technik weiter zu verfeinern. Was die Kraftwerte betrifft, bin ich ganz gut aufgestellt“, berichtet er und ergänzt: „Es wird wichtig sein, im richtigen Moment den Killerinstinkt auf die Matte zu bringen. Dem Gegner zeigen, dass man sehr präsent ist und immer noch eine Schippe drauflegen kann.“ Dazu gehört vor den Wettkämpfen auch die professionelle Gewichtssteuerung. Die Herausforderung, Gewicht zu reduzieren, ohne dabei Körperkraft oder Frische zu verlieren, ist Kinsinger schon in den vergangenen Jahren immer besser gelungen.

Der LSVS will den Vorzeige-Athlet auf seinem Weg bestmöglich unterstützen. In der ersten Ausgabe 2022 des SaarSport-Magazins erläuterten Johannes Kopkow, LSVS-Vorstand Sport und Vermarktung, und Prof. Dr. Klaus Steinbach, Vorsitzender der Sportstiftung Saar, wie der Sportstandort Saarland von den Spielen in Paris 2024 profitieren könnte. Ein Aspekt ist die Schaffung optimaler Trainingsbedingungen für diejenigen, die in Saarbrücken trainieren (werden). Das spürt Kinsinger schon, der an der Hermann-Neuberger-Sportschule lebt und kürzlich mit einem neuen Trainingsgerät, einem Air Bike, ausgestattet wurde. „Ich brauche aber nicht unbedingt die gleichen Matten, wie sie in Paris liegen werden. Für mich wäre es wichtiger und sinnvoller, mal den einen oder anderen internationalen Trainingspartner hierherzuholen“, sagt er und findet: „Die Unterkünfte und entsprechenden Gegebenheiten haben wir hier ja.“ Alles Weitere ist auch Sache des Deutschen Ringerbundes. Das gilt auch für die Möglichkeit, mit der Nationalmannschaft Trainingslager im Ausland zu absolvieren, an denen auch entsprechende Gegner aus anderen Ländern teilnehmen.

Etienne Kinsinger weiß, wovon er redet. Das mit der Olympia-Qualifikation hat ja schon einmal geklappt. Und wie! Im letzten Qualifikationsturnier in Budapest musste er sich erstmals in seiner Karriere für ein Herren-Finale qualifizieren. Genau 13 Sekunden vor dem Schlussgong im Halbfinale der Klasse bis 60 Kilogramm griechisch-römisch lag Kinsinger gegen Europameister Murad Mammadov aus Aserbaidschan mit 1:3 in Rückstand, als er zum sogenannten Eichhörnchen-Sprung ansetzte. Eine so seltene wie spektakuläre Technik, bei welcher der Gegner aus dem Stand übersprungen, umklammert und mithilfe des Flug-Schwungs umgerissen wird. Soweit die Theorie. „Ich bin in der Luft zwar auf halber Strecke hängengeblieben, aber ich konnte ihn zur Seite umreißen“, berichtete „Eichhörnchen“ Kinsinger damals. Nur dank seines perfekten Timings konnte er den erhofften Überraschungseffekt nutzen und den 1:3-Rückstand in die siegbringende 5:3-Führung verwandeln. Schon vor seiner Abreise nach Ungarn wusste er damals, dass er „das beste Turnier seines Lebens ringen“ und „einen absoluten Sahnetag erwischen“ musste, um das Tokio-Ticket zu lösen. Auch der Weg nach Paris wird kein Spaziergang. Aber vielleicht gelingt es Kinsinger dieses Mal, ihn nicht erst auf den allerletzten Drücker zu beschreiten. Sonst muss wieder das Eichhörnchen herhalten.